Franz Blumenfeld, stud. iur., Freiburg i. B., geb. 26. September 1891 in Hamburg, gef. 18. Dezember 1914 bei Contalmaison.

von saldenleander

14. Oktober 1914 (in Nordfrankreich).

…Eines drückt mich von Tag zu Tag mehr, ich fürchte mich so sehr vor der inneren Verrohung. Wenn Du mir ein kugelsicheres Netz wünschst, so ist das sehr lieb von Dir, aber merkwürdigerweise hab`ich gar keine, aber auch gar keine Angst vor allen Kugeln und Granaten, sondern nur vor dieser großen inneren Vereinsamung. Ich fürchte, meinen Glauben an die Menschen zu verlieren, an mich selbst, an alles Gute in der Welt! Ach, das ist schrecklich! Viel, viel schlimmer als das ständige Draußensein bei jedem Wetter; die Notwendigkeit, selbst für sein Essen zu sorgen, das Schlafen auf dem Heuboden (all das finde ich gar nicht schlimm), viel schwerer ist mir, den unglaublich rohen Ton zu ertragen, der zwischen den Leuten hier herrscht.
Der Anblick der Leicht- und Schwerverwundeten, der herumliegenden toten Menschen und Pferde tut gewiß weh, aber der Schmerz darüber ist lange nicht so stark und anhaltend, wie man sich das vor dem Krieg vorgestellt hatte. Gewiß kommt das zum Teil dadurch, daß man fühlt, wie unmöglich es ist, hier zu helfen. Aber ist es nicht doch schon zugleich der Anfang einer traurigen Gefühlslosigkeit, beinahe Roheit, oder wie ist es möglich, daß es mir weher tut, meine eigene Vereinsamung zu tragen, als den Anblicks des Leids so vieler anderer? Kannst Du mich verstehen? Was hilft es, wenn mich alle Kugeln und Granaten verschonten und ich nehme Schaden an meiner Seele? So hätte man das früher ausgedrückt…