Karl Gorzel, stud. iur., Breslau, geb. 6. April 1895 in Breslau, gef. 21. März 1918.

von saldenleander

Slype, den 1. Oktober 1916 (nach der Sommerschlacht).

Nachdem nun die böse Thiepval-Affäre hinter mir liegt wie ein schwerer Traum, will ich in großen Zügen erzählen, wie es mir an der Somme ergangen ist. … Auf der Durchfahrt durch Cambria sahen wir Hindenburg und jubelten ihm zu. Sein Anblick fuhr uns wie Feuer durch die Glieder und erfüllte uns mit starkem Mut. Wir sollten ihn auch nötig haben. – Am Abend des 11. September lösten wir das aktive 5. Garderegiment in der Thiepval-Stellung ab. Der Anmarsch war schrecklich. Je weiter wir nach vorn kamen, desto stärker wurde das Feuer, desto flacher die Annäherungsgräben bis sie schließlich ganz aufhörten. Sprungweise ging es durch das mörderische Schrapnell- und Granatfeuer vor. Schon da hatten wir böse Verluste. Am nächsten Tage begannen die englischen Angriffe, nicht zwei Stunden am Tage schwieg die Artillerie. Als der Morgen graute, sah ich mich in der Gegend um: ein Bild des Jammers! Von Gräben keine Spur, nur Granattrichter, soweit das Auge reicht, von Granaten zugeschüttet, wieder aufgewühlt, wieder zugeschüttet. Darin lagen wir, wie leblos an die Erde gepreßt, denn schon surrten scharenweise die feindlichen Flieger über uns. Schutzlos waren wir ihnen preisgegeben, mit grausamer Sicherheit lenkten sie das schwere englische Kaliber Schuß auf Schuß in unsere Linie, schossen selbst mit Maschinengewehren auf jedes sich regende Wesen. – Stunde auf Stunde verging, hilflos liegen die Verwundeten und stöhnen, das Wasser geht zu Ende, mit grausamer Langsamkeit scheint der Tag sich verdoppeln zu wollen, das Feuer steigert sich zu betäubender Heftigkeit, man kann die einzelnen Schläge nicht mehr unterscheiden. Erde setzt sich in Mund und Nase; dreimal verschüttet und dreimal wieder ausgegraben, warten wir – warten auf die Nacht oder den Feind. Oh, dies Warten, es verengt das Hirn und macht die Menschen wahnsinnig. Und immer toller wird der Höllentanz der berstenden Granaten, man sieht nichts mehr vor Qualm, Feuer und aufspritzender Erde. Fiebernd bohren sich die Augen in den Feuervorhang und erwarten den Feind. Plötzlich liegt das Feuer hinter uns, und da ist auch schon die vorderste Welle des Gegners dicht vor uns. Endlich die Erlösung! Wer noch unverwundet ist, wer noch einen Arm heben kann, der ist aufgesprungen. Und wie ein Hagelschauer fliegen unsere Handgranaten in den anstürmenden Feind. Die erste Welle liegt dahingerafft vor unseren Löchern, schon ist die zweite heran, und dahinter kommen die Engländer in dichten Massen. Was bis in unsere Linien kommt, wird im Bajonettkampf Mann gegen Mann erledigt, und jetzt fliegen mit verdoppelter Gewalt unsere Handgranaten in die dichten Rotten unserer Gegner. Grausige Arbeit halten sie da, und wie reife Ähren unter der Hand des Schnitters sinken die englischen Sturmkolonnen. Nur wenige gelangen in voller Flucht in die Ausgangsgräben zurück. Stumpf sinken wir auf die gemarterte Erde, verbinden die Verwundeten, so gut es geht, und warten auf den nächsten Angriff oder auf die Nacht. Die Maschinengewehre sind verschüttet, zerschossen, die Handgranaten fast verworfen. Das Feuer nimmt wieder zu, es schmerzt der Kopf, es brennen die Lippen. Nun liegt alles in Gottes Hand. Nur der eine Gedanke ist in jedem Hirn: lebend bekommen sie uns nicht! Doch die Tommies haben genug. Heute kommen sie nicht wieder. Es wird dunkler, das Geschützfeuer normal. ich zünde mir eine Zigarette an und versuche zu denken. Denke an unsere Toten und Verwundeten, an das Elend der Menschheit, denke zurück an – die Heimat. Doch los von diesen Gedanken! Die Gegenwart fordert ihr Recht, einen ganzen Mann, keinen Träumer. Das Essen kommt, und trinken – trinken. – Die Sanitäter tragen die Verwundeten zurück, sofern sie können. Es kommen Verstärkungen. Rasch wird wieder aufgeräumt, die Toten werden begraben. – Ein neuer Tag bricht an, schrecklicher noch als der alte. Das ist die Schlacht an der Somme, das blutige Ringen um Deutschlands Sieg – diese acht Tage bilden das Höchstmaß dessen, was der Mensch ertragen kann; es war die Hölle.